Wer die kleine
Werkstatt in dem Einfamilienhaus oberhalb der Kirche von Lauscha
betritt, fühlt sich unvermittelt in vergangene Zeiten versetzt: über die
gelb-bläuliche Flamme des zischenden Gasbrenners gebeugt erhitzt der
Hausherr einen schmalen Glasrohling. Unter der niedrigen Decke sind
Nagelbretter befestigt, auf die Dutzende frisch versilberte
Christbaumkugeln zum Trocknen aufgesteckt sind. Im ganzen Raum türmen
sich hüfthoch die fertig gepackten Kartons mit Christbaumschmuck. Eine
schmale Gasse zwischen den Stapeln führt zu einem kleinen Arbeitstischchen, an dem die
Ehefrau ein rot glänzendes Herz in eine Wanne mit goldenem Glimmer taucht.
Was aussieht wie die
Szenerie aus einem der Glasbläserromane von Petra Durst-Benning, ist für
Magdolna und Walter Hähnlein Alltag im Hier und Jetzt. An diesem Ort
werden fast 365 Tage im Jahr Weihnachtsträume produziert. Die Hähnleins
zählen zu den wenigen noch verbliebenen Lauschaer Glasbläsern, die
ganzjährig gläsernen Christbaumschmuck im familiären Heimbetrieb
herstellen. Und was die beiden hervorbringen, unterscheidet sich wohltuend von
der
üblichen China-Massenware. Hier entstehen in
mühevoller Handarbeit gläserne Kostbarkeiten.
Im
Sortiment der Hähnleins findet man neben der klassischen Weihnachtskugel
vor allem
edle, gründerzeitlich inspirierte Ornamente, mit denen die Beiden an die Lauschaer Christbaumschmucktradition des späten 19. Jahrhunderts
anknüpfen. Die Kreationen umfassen Zeppeline, Fesselballons,
Vogelnester, Herzen, Segelschiffe, Anker, Medaillons, Glocken, Kannen,
Vögel, phantasievoll geschwungene Kegel- und Kugelobjekte und vieles
mehr. Alles in opulenten Farben von kristallblau-glänzend über
klassisches Silber bis hin zu warmen Rot-, Grün- oder Goldtönen. Die
zerbrechlichen Kunstwerke werden fein bemalt, mit leonischen Drähten
umsponnen und mit herrlich nostalgisch anmutenden Oblaten, Engelshaar
oder Lametta verziert.
Christbaumschmuck von Hähnlein
umweht der Hauch
kaiserzeitlicher Pracht und Herrlichkeit und weckt
beim Betrachter unweigerlich Assoziationen
an die Weihnachtsfeste der vermeintlich guten alten Zeit, als in den
kamingeheizten Wohnstuben der Bürgerpalais noch das Parkett knarzte,
die Buben Matrosenanzüge und die Mädels Zöpfe trugen und Kinderaugen
noch mit Blechtrommeln und Schaukelpferden zum Glänzen gebracht werden
konnte. Das Lauschaer Paar hat mit seinen Repliken den Christbaumzauber einer Epoche, die
wir nur von vergilbten Photos und kolorierten Lithographien kennen, in
unsere Welt herübergerettet.
Dabei ist der Alltag der beiden von jedweder 19. Jahrhundert-Romantik
weit entfernt. Die Herstellung von qualitativ hochwertigem
Christbaumschmuck im Familienbetrieb erfordert enormes
kunsthandwerkliches Können, Disziplin und eine gehörige Portion
Idealismus. Die Arbeit ist hart. 16-Stunden-Arbeitstage sind eher die
Regel als die Ausnahme. Walter Hähnlein hat sein Glasbläserhandwerk von der Pike auf gelernt. Er
entstammt einer alteingesessenen Lauschaer Glasbläserfamilie. Bis heute
verwendet er für viele seiner formgeblasenen Stücke Model, die er von
seinen Vorfahren geerbt hat. Zu DDR-Zeiten arbeitete für den VEB
Thüringer Glasschmuck, auch damals schon in Heimarbeit. Dabei stand
die Plan- und Auftragserfüllung im Vordergrund, für Kreativität und
kunsthandwerkliche Entfaltung gab es kaum Spielräume. Zumal die
notwendigen Rohmaterialien nur schwer zu kriegen waren. Nach dem
Zusammenbruch der volkseigenen Weihnachtswelt entschieden sich seine
Frau und er 1990, die Lauschaer Christbaumschmucktradition der
Vorkriegszeit in selbständiger Tätigkeit wieder aufleben zu lassen.
Und
so setzt er sich Tag für Tag in aller Herrgottsfrühe an seinen
Arbeitsplatz, den so genannten Bolg. Über der Gasflamme erhitzt er bei
einer Temperatur von ca. 1.400 °C einen durchsichtigen Glasrohling.
Sobald der die optimale Konsistenz erreicht hat, bläst Walter Hähnlein
diesen frei zu einer Kugel. Können und Augenmaß sorgen dafür, dass das
Gebilde den gewünschten Durchmesser erhält. Das Material ist
zähflüssig und formbar.
Hähnlein bringt dieses durch Blasen und Drehen, durch Eindrücken mit
Stempeln oder durch Verschmelzen mit einem zweiten erhitzen Rohling in
die gewünschte Form. Dies erfordert Know-how und Geschick, vor allem
aber muss es schnell gehen, denn die Glasmasse kühlt sofort wieder ab
und verhärtet. Ist zuviel Spannung im Objekt, zerbricht die Kugel. Frei
geblasener und per Hand kunstvoll ausgeformter Baumschmuck ist Walter
Hähnleins Spezialität. Für komplexe figürliche Formen greift er
auf seinen
reichhaltigen Fundus an alten und einigen neueren Model zurück und in
Sekundenschnelle wird aus einem glühenden Glasstab beispielsweise eine
barbusige Galionsfigur - "eine uralte Form", wie Walter Hähnlein betont,
die er vor nicht allzu langer Zeit aufgestöbert hat und zunächst für ein
Engelsmotiv hielt.
Ist das Glasblasen im Hause Hähnlein noch
Männersache, so greift bei den weiteren
Produktionsschritten - Trocknen, Verspiegeln, Bemalen,Verzieren und
Verpacken - Magdolna Hähnlein ins Geschehen ein. In ihren Händen
werden die noch schmuck- und und glanzlosen
Kugeln und Figuren zu den glitzernden Wunderwerken, die alljährlich unzählige
Christbäumen auf der ganzen Welt zieren. Die Fertigkeiten hat sich die
gebürtige Ungarin selbst beigebracht. Mit viel Fingerspitzengefühl
appliziert Sie eine Oblate in die Einbuchtung eines Reflektorkegels und
umwickelt diesen mit gekräuseltem leonischem Draht. Dieser muss straff
gespannt sein und darf sich nicht vom Glasobjekt lösen. Die Hähnleins
arbeiten mit großer Liebe zum Detail. Qualität hat oberste Priorität. So
verwendet Magdolna Hähnlein ausschließlich historische Vorkriegsoblaten,
da nur diese ihren ästhetischen und qualitativen Ansprüchen genügen.
Hähnlein-Christbaumschmuck ist einzigartig und unverwechselbar (Kenner
wären vermutlich in der Lage, an jedem Christbaum der Welt ein Hähnlein-Objekt
sofort zu identifizieren). Kein Massenprodukt, aber dennoch sind auch die Hähnleins
Akteure auf einem Markt, der sich immer schneller wandelt.
Veränderte Rahmenbedingungen bei der Beschaffung von Rohmaterialien und
immer kurzfristigere Auftragserteilung seitens der Großabnehmer machen das Arbeiten zusehends schwerer - die Kinder der Beiden haben
sich vorsichtshalber schon mal für andere Berufe entschieden. Der Tag
hat vierundzwanzig Stunden und manchmal sitzen wir zwanzig davon hier
unten in der Werkstatt, äußert Frau Hähnlein und ihr Mann gibt zu
bedenken: Bei unserem Baumschmuck handelt es sich um Kunsthandwerk und
nicht um einen beliebigen Geiz-ist-geil-Konsumartikel. Kunsthandwerk,
das durch eine schier unglaubliche Vielfalt an Formen und Farben
überrascht: Wir müssten eigentlich mehr als 2000 Preise im Kopf haben,
erklärt Magdolna
Hähnlein nicht ohne Stolz. Ist der Markt auch rau, Wertschätzung erfahren die beiden von
ihren Kunden. Ob in Deutschland, anderen europäischen Ländern oder den USA, überall auf der
Welt gibt es Weihnachtsfreunde, die die kleinen Preziosen des Lauschaer
Ehepaars über alles lieben. Auf die Frage, ob ihnen Beschäftigung mit Weihnachtsschmuck
rund um die Uhr nicht manchmal zuviel werde, und ob sie das
Christfest überhaupt noch genießen könnten, wird
Magdolna Hähnlein fast sentimental: Wenn bei uns am ersten
Weihnachtsfeiertag das Telefon klingelt und überglückliche Leute
anrufen, um uns zu sagen, wie herrlich unsere Ornamente an ihrem
Christbaum glänzen, dann ist das für uns das
Allerschönste und die ganze Mühe hat sich gelohnt".
Walter und Magdolna Hähnlein sind
- wie auch die anderen noch aktiven Glasbläser in und um Lauscha - ein
lebender kultureller Schatz, gewissermaßen ein europäisches Kulturgut,
das uns hoffentlich noch möglichst lange erhalten bleibt und sich fortentwickelt.
(Udo Hensel)
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